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#dclass conference – new Education for a new Economy

Wie lernen und arbeiten wir? Und wofür? 

„Etwas chaotisch, aber wahnsinnig spannend“

Als mir meine Freundin Nina Neef von der dclass conference von Van Bo Le-Mentzel erzählt, bin ich erst ein bisschen skeptisch: Ein Konferenz über zwei Tage in Berlin, organisiert von einem jungen Architekten, der durch die „Harz-IV-Designermöbel“ zum Selbstbau bekannt wurde.

Nina #dclass conference

„New education for a new economy“ lautet der Titel der Konferenz.

„Wir wollen herausfinden, wie wir das Lehren und Lernen neu denken müssen, um für eine Welt bereit zu sein, in der kein Mensch den Kapitalismus zu bändigen weiß“, steht auf der Homepage der dclass conference.

Komplexe Themen – junge Menschen – hoher Anspruch. Ich will da hin.

Auch meine Wahrnehmung ist: Die Welt hat sich in den letzten 30 Jahren auf dramatische Weise verändert. Die Schulen kaum.

Darüber hinaus hat der klassische Universitätsabschluss an Wert verloren. Jeder scheint heute einen MBA zu machen. Beruflicher Erfolg danach: garantiert nicht garantiert. Niemand erwartet mehr den Arbeitgeber für’s ganze Leben. Banker, Anwalt oder Unternehmensberater in einem Konzern zu werden, ist für viele aus der sogenannten Generation Y keine attraktive Option mehr für die Zukunft.

Selbstbestimmung, Social Entrepreneurship. Neues gestalten, Veränderung bewirken. Darum soll es gehen.

Die Konferenz-Tickets kosten 490 Euro. Oder 0 Euro. Die für 0 Euro sind die sogenannten Karma-Tickets, was bedeutet: jeder bringt seinen Teil ein, teilt z.B. sein Wissen, spricht in einem der unzähligen Speak-Outs, arbeitet im Orga-Team oder bringt Essen und Trinken mit zum Event. Das „d“ in dclass steht nicht für digital sondern für demokratisch. Alles fast erschreckend unkompliziert. Laut Website hat das ganze Event unter 10.000 Euro gekostet.

Ich stutze und stelle mir vor: einen Haufen 20-jähriger, die über Bildung und Zukunft diskutieren, schon alles wissen und auf dem Boden sitzend wilde Utopien in Workshops ausarbeiten.

Ich bin aber auch nicht die Generation Y. Ich gehe auf die 50 zu, bin alles andere als klassisch ausgebildet, habe keinen geraden Berufsweg. Trotzdem betrachte ich mich als erfolgreich: Seit ich 27 bin, bin ich unternehmerisch tätig, habe gut verdienend als Schauspielerin gearbeitet und auch für verschiedene Start-Ups. Ich habe das Glück einer gesunden 13 jährigen Tochter, die jeden Tag etwas Neues werden will. Seit 4 Jahren arbeite ich als Gründercoach mit und für Menschen, die mit ihren eigenen kleinen und großen Unternehmen, wachsen wollen. Geschäftlich und persönlich.

„Wir bereiten unsere Kinder auf 1990 vor, nicht auf 2030.“, ruft einer der ersten Speaker ins Mikro: Maurice De Hond, 67 Jahre. Ein Holländer, Gründer und Leiter der Steve-Jobs-Schulen in Holland, in denen jedem Kind als Hauptlernmittel ein eigenes I-Pad zur Verfügung steht.

Er erzählt: In diesen Schulen bestimmt das Kind selbst sein Lerntempo. Und was es auf welche Weise lernt. Auf spielerische Weise kristallisieren sich die persönlichen Stärken heraus, egal, ob es 5, 7 oder 9 Jahre ist:

Für jeden Lernstand gibt’s die richtige App.

Kind und Lehrer/in haben sofort die Lernergebnisse auf dem Bildschirm, Stärken und Potentiale klar vor Augen.

Klingt irgendwie gut. Fühlt sich aber auch komisch an: Keine Bücher? Keine gemeinsame Interaktion? Sozialkontakte? Auch das soll natürlich dort geboten werden, laut De Hond: „Aber wenn ein Kind über einem Buch sitzt und lernt, gibt’s auch keine Interaktion mit dem Nachbarn“. Stimmt auch wieder.

Während des gesamten Vortrags sitzt De Honds 5-jährige Tochter hinter ihm, mitten auf der Bühne.

Völlig unbeeindruckt vom Publikum hat sie die meiste Zeit in ihr mitgebrachtes I-Pad geschaut. „Was hast Du da gerade gemacht?“, fragt die aufmerksame Moderatorin, als der Vater zu Ende gesprochen hat. Sie antwortet dem Papa leise ins Ohr, er spricht’s lächelnd ins Mikro: ein Lernspiel und ein Foto-Album für den Papa.

Applaus vom Publikum.

Ist das die Zukunft?

Oder doch lieber der herkömmliche Frontalunterricht mit 35 Schülern, die sich vor allem mit den Fächern beschäftigen müssen, die sie nicht können, wie es ein 18-Jähriger Schulabbrecher beschreibt: „Was hat das denn mit Potential-Entfaltung zu tun?“

Erik Koszuta aus Berlin hat kurz vor dem Abi die Schule geschmissen. Er steht zu seiner Entscheidung. Seine Eltern auch. Er ist davon überzeugt, dass er mehr lernt ohne Abitur. Er präsentiert sich und sein Thema vor 500 Zuschauern beeindruckend wortstark, souverän und sympathisch:

„Ich muss doch erst mal ein Bild davon haben:
Wer bin ich, was sind meine Fähigkeiten und was will ich?“

Gänsehaut-Feeling: Selbst-Reflektion eines 18-Jährigen. Heute ist er Autor. Sein zweites Buch heißt:„Herausforderungen meiner Zeit.“

Das allermeiste, was ich in den zwei Tagen sehe und höre, beeindruckt mich und viele andere, die durch das Karma-Prinzip Teil dieser Gemeinwohl orientierten Konferenz sind:

82 Speaker zwischen 12 und 92 Jahre alt, Vertreter der Generationen: 2. Weltkrieg, Babyboomer, X, Y (Why) und Z. Ambitionierte Gründer, erfolgreiche Unternehmer/Innen, Philosophen, Menschen aus der Schul- und Universitätsbranche.

Und Prof. Dr. Gerald Hüther, 64, der berühmte Neurobiologe. Bei seinem beeindruckenden Vortrag über die Art, wie Kinder und Erwachsene lernen, kniet er sich hin, ganz nah am Bühnenrand, das Publikum fest im Blick:

Lernen heißt echte Begegnung.“

Hüther erzählt von der Wichtigkeit körperlicher Bewegung und echter Begeisterung als beste Voraussetzung für ein fruchtbares Lernen. Er plädiert an Schüler, sich nicht vom Lehrer zum Objekt machen zu lassen, wenn der sagt: „Du lernst jetzt, was, wann und wie ich es will.“ Er spricht von der Absurdität, dass sich ein Jugendlicher gerade eben noch in der Schule melden und den Lehrer fragen muss, ob er auf’s Klo darf und im nächsten Moment entscheiden soll, was genau er studieren und den Rest seines Lebens machen will. Er plädiert an die Eltern:

„Jammert nicht über das schlechte Schulsystem oder die Politik. Fangt jetzt an, Euch und Eure Kinder nicht mehr zum Objekt zu machen. Jetzt!“

Gänsehaut-Feeling: Ein Neurobiologe, der sagt: lasst die Kinder frei laufen.

„I am happy to be here“, stellt sich der junge Philosophie-Student vor. Mit sehr ernstem Gesicht. Tag 2 der Konferenz. Unzählige Speaker haben 15 Minuten Zeit, frei vor Publikum zu sprechen. Viele sprechen auf Englisch. Danach 15 Minuten Austausch. Karma liegt in der Luft.

Elyas Munye erzählt, dass er Jahre für viel Geld an einer Uni im Ausland mehrere Fachrichtungen und noch mehr Themen studiert und erforscht hat. Und immer mehr wissen wollte, weil er noch nicht genug Antworten fand. Am Ende entschied er sich für das Fach Philosophie, in dem er abschloss.

Ich freue mich, dass auch dieser junge Denker neben den ganzen Jung-Unternehmern seine Sicht der Dinge mit dem sehr zugewandten Publikum teilt:

„New education for a new economy.“ Elyas fragt, ob denn Lernen für den Menschen nur dem Zweck dient, eine Funktion für die Wirtschaft zu erfüllen. Er lässt die Frage stehen. Er ist Philosoph.

„Wir sprechen hier die ganze Zeit davon, ob Lernen mit technischen Hilfsmitteln, I-Pads, Online-Weiterbildungen, E-Learning, die Zukunft der Bildung ist und die beste Art des Lernens.

Technische Geräte sind aber nur Werkzeuge! Nicht mehr. Eines der wichtigsten Werkzeuge ist die Frage selbst. Die alten Griechen wussten das besser „Was will ich lernen? Und warum?“ Das Wort Schule kommt von schola (lat.), und hatte im griechischen die Ursprungsbedeutung: „freie Zeit“, „Müßiggang, „Muße“, später „Studium, Vorlesung.“

„Wieviel Schule hat heute noch mit Muße und freier Zeit zu tun?“fragt er. Er hält dabei den Blick zu uns, lässt uns selbst denken.

Gänsehaut-Feeling. Schon wieder.

Viele junge Unternehmer sprechen in diesen zwei Tagen vor Publikum. Alle haben etwas zu sagen. Z.B. wie anspruchsvoll es ist, als Unternehmer erfolgreich zu sein „Denke den Erfolg. Und dann geh´ da rein“, sagt einer, der es wissen muss. Hört sich banal an. Stimmt aber trotzdem.

„Vertrauen, Mut, Herz und offenes Denken ist gefragt.“so drückt es der Chef von Premium Cola aus, der in seinem Unternehmen demokratische Führung lebt. Uwe Lübbermann, 37 Jahre, ist erfolgreich seit 13 Jahren am Markt. „Wir sind gesund gewachsen, haben uns Zeit gelassen. Ohne Investor.“ Vor Jahren gab es einen kritischen, finanziellen Engpass.

„Zwei unserer Kunden haben uns da herausgeholfen. Nicht die Bank.

Welches Unternehmen kann das von sich erzählen?“, fragt er ins Publikum. Erst nach 8 Jahren konnte er von Premium Cola leben. Es scheint ihm gut getan zu haben: Er steht dort, tiefen entspannt. In roten Socken, ohne Schuhe. Die roten Socken sind kein Statement. „Ich habe jahrelang nur schwarze Socken getragen, heute freue ich mich über meine roten.“ Solche Sätze sind Grund für die gute Stimmung hier. Manchmal haben Dinge eben auch keine Bedeutung. Auch das darf hier sein. Arbeit darf Spaß machen. Sollte Spaß machen.

„Du brauchst gar nichts, um anzufangeDein Unternehmen aufzubauen: Kein Business-Plan, keine Investitionszusage, kein Büro. Du braucht den Glauben an Dich und das Wissen darüber, wer Du bist“, sagt Marcel Rasche. Ich schätze ihn auf um die Dreißig. Gerade baut er an seinem dritten Unternehmen. Marcel hat sich eine Auszeit vom Ph.D. und dem eigenen Geschäft genommen, um sich auf einem anderen Weg weiter zu entwickeln:

Knowmads heißt die Private Business School in Holland mit alternativem Lern-Ansatz. Hier werden Studierende auf völlig andere Weise an das Unternehmertum herangeführt: Nicht mit BWL, sondern mit Fragen wie: Wer bist Du? Was treibt Dich an? Was willst Du verändern?

„Ich habe mich diesen Fragen genähert. Während des Studiums dort ließen die Umstände mich ein halbes Jahr wohnungslos auf den Sofas meiner Freunde übernachten. Ich würde heute sagen, es war die wichtigste Zeit meines Lebens.“

Überall auf der Welt soll es solche Schulen geben, und sie werden mehr. 

Heute arbeitet Marcel als Berater für große Firmen, die erfahren wollen, wie sie junge Zielgruppen erreichen könnten. Virtuell und emotional.

Ich verlasse die Konferenz, total begeistert über so viel neuen Input. So viele Möglichkeiten im Hinblick auf Bildung und Arbeit, die auch gegensätzlich sein durften. Vor allem nehme ich neue Fragen mit nach Hause.

Ach, und einen Zettel. Auf dem sollte ich festhalten, was ich ab sofort tue, um Veränderung zu bewirken. Dort steht: mehr mit meiner Tochter tanzen und ihr einen richtigen Computer für die Schule kaufen.

In dieser Reihenfolge.

Dieser Artikel ist auch online auf dem Blog der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin. 

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