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Krisen – was sie mit uns und unseren Beziehungen machen

Auf einmal ist alles anders. 

Menschen haben Krisen. Sie gehören zum Leben. Unsere Beziehungen leiden darunter. Das war schon immer so. Die aktuelle Corona-Krise betrifft uns alle. Das ist neu. Und ist für viele sehr beängstigend. Für die meisten ist das Ausmaß und die Konsequenzen dieser Krise eine völlig neue Erfahrung. Angst ist für die Betroffenen oft schwer zu fassen. Und doch ist das Gefühl von Angst sehr real.

„Wie gehe ich mit dem Gefühl der Ohnmacht und der Angst um?“

Es scheint, als hätte jemand die Stopp-Taste gedrückt. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen. Endlich mehr Zeit? Kein gutes Gefühl! Ohne permanente Ablenkung und To-do-Liste haben die Gefühle mehr Platz. Angst, Wut, Trauer. Aber auch Freude. (Aber die kommt meist erst viel später). „Wie in Watte gepackt“ sagte eine Freundin. „Das, was jetzt passiert, kommt gar nicht richtig an mich ran“. Der Umgang mit Angst und Kontrollverlust ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst.

Jetzt ist der Moment da – alles ist anders – und zeigt sich als echte Herausforderung.

Selbst für mich, die das Arbeiten im Home-Office seit Jahren gewohnt ist, wochenlang alleine reiste, das Alleinsein in Stille sehr mag… auch für mich ist auferlegte physische und soziale Distanz etwas, das mich außerordentlich fordert.

Müssen wir weiter funktionieren und uns zusammenreißen? Nicht nur die Menschen, die mit Kindern den ganzen Tag zu Hause sind, seit Wochen, kommen an ihre Grenzen.

In jeder Beziehung ist die Gefahr größer, aneinander zu geraten.

Das Gefühl von Ohnmacht, Angst und Unsicherheit verändert jedes Miteinander. Ob Liebespaar, Freundschaft, Arbeitsteam: Im Stress zeigen wir andere Seiten von uns. Wir sind vielleicht empfindlicher oder verweigern uns der neuen Situation. Wir geraten in einen absurden Aktionismus oder fallen in eine Art Bewegungsstarre. In jeder Beziehung ist die Gefahr größer, aneinander zu geraten. Auch wenn früher (wie lange ist das her?) viel mehr Zeit mit den eigenen Kindern und mit dem Lebenspartner verbracht wurde. Viele sind genau damit jetzt überfordert. Die Beziehungen leiden darunter. Innerhalb der Familie, innerhalb der Partnerschaft. Auch Freundschaften werden in Frage gestellt. Und nicht zuletzt leiden wir an der Beziehung mit uns selbst. Wir sind im Krisen-Modus!

„Wie geht es mir mit mir?“

Meine persönliche Erfahrung ist, dass die Fähigkeit zur Selbstfürsorge der beste Schutz vor Überforderung in Krisenzeiten ist. Eine Überforderung, die nachvollziehbar auch die besten Beziehungen auf die Probe stellt. Folgende Fragen können die Selbstfürsorge unterstützen:

  • Wie denke ich wann über die Krise nach?
  • Wie finde ich Ruhe, wann kann ich schlafen?
  • Welcher Mensch unterstützt mich und was ist jetzt wichtig?
  • Wie kann ich andere um Hilfe bitten, und das bekommen, was ich jetzt brauche?

Mit diesen Fragen können gedankliche Negativ-Spirale und Gefühls-Chaos zumindest leichter verabschiedet werden. Und wir werden fairer gegenüber den anderen. Denen wir nahestehen. Von denen wir Trost und Unterstützung verdammt gut brauchen könnten, diese aber vielleicht nicht bekommen. Nicht jede/r kann mit Angstgefühlen des/der LebenspartnerIn gut umgehen. Allein die offensichtliche Bedürftigkeit kann nahestehende Menschen in die Flucht schlagen. In der Krise fährt jeder sein eigenes Programm.

Im Krisen-Modus aber muss ich wissen, was ich dringend brauche, um – ganz einfach – gut durch den Tag zu kommen. Nur so kann überhaupt erst die Möglichkeit entstehen, in den Kontakt mit mir selbst zu kommen und die eigene innere Ruhe wieder zu spüren.

Zur Ruhe kommen? Alles, nur das nicht.

„Zur Ruhe kommen? Ich will es so sehr, wie ich es nicht will“, sagte mir ein Klient einmal, der in einer tiefen persönlichen Krise steckte. „Krise als Chance? Was für ein bekloppter Satz, wenn die ganze Wucht einer Krise auf einem lastet!“. Recht hatte er. Krisen lassen eben wenig Platz für die Sicht auf das, was trotzdem möglich ist.

Aber manchmal bewirkt eine Krise allein aus der schieren Notlage heraus den ersten nötigen Schritt, aus alten Denk- und Verhaltensmustern auszubrechen. Was hilft, ist dem Impuls zu widerstehen, sich davon ablenken zu lassen.

Jetzt haben wir die Zeit. Wir können und sollten uns jetzt öffnen für das, was vorher alles nicht möglich war. Oder nicht nötig schien:
Eine alte Freundin anrufen. Sich zu entschuldigen für einen alten Konflikt. Einen lieben Menschen anrufen. Ihm/ihr sagen, dass man ihn vermisst, an ihn denkt, ihn jetzt braucht, ihn liebt. Oder sie.
(Anmerkung: m/w/d: Alle Formen sind hier gemeint.)

Nicht mehr ablenken lassen von dem, was wichtig ist.

Nicht mehr ablenken lassen vom reflexhaften Blick auf das Handy, von der permanenten Nachrichten-Flut, von Vorausahnungen, wie: „Ich muss… / Man muss… / Das geht nicht / Er/sie wird doch nur wieder sagen, dass…“, etc. Wir sehen gerade, was alles in der Krise geht und was – vor der Krise – absolut unmöglich schien. Allein das ist ein großes Plus. Vielleicht lässt sich dieser neue Blick auf die Welt auch auf Beziehung übertragen?

Verstehen: Um was geht es hier gerade?

Eine weltweite Krise ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, Beziehungsdiskussionen zu führen.

Lange Zeitungsberichte künden aktuell davon, dass häusliche Gewalt nun zunehmen wird.  Manche Familienmitglieder / LebenspartnerInnen halten sich jetzt gar nicht gut aus. Beziehungen gut und gegenseitig stärkend zu führen ist leichter, wenn es beiden Seiten blendend geht. Oder wenn beide wie verrückt beschäftigt sind, sich auspowern im Job, sich mit Konsum von was auch immer ablenken …Aber müssen wir uns ablenken, damit die Beziehung funktioniert?

Um welche Gefühle und unerfüllte Bedürfnisse geht es, wenn es laut wird, Türen knallen, weggerannt, geheult und geflucht wird? Vielleicht ging es beim Streit mit der guten alten Freundin gar nicht um den falschen Ton, das Thema oder darum, wer es wieder mal besser wusste.

Unerfüllte Bedürfnisse

Menschliche Bedürfnisse können sehr vielfältig sein. Unerfüllt bringen sie Leid, Schmerz, Frust. Z.B. unerfüllte, grundlegende Bedürfnis von:

  • menschlicher Wärme
  • ernstgenommen zu werden
  • Zugehörigkeit
  • Vertrauen
  • Fürsorge
  • Ordnung o.Ä.

Wenn die ewigen Diskussionen nichts mehr bringen, könnten wir doch auch einmal den Versuch wagen, über unsere Bedürfnisse zu sprechen. „Mir ist es gerade so wichtig, dass Du jetzt da bist und mir zuhörst. Und mich verstehst. Mehr nicht. Das brauche ich jetzt von Dir.“ Nur die Erfüllung unserer wahren Bedürfnisse macht uns satt macht und nährt uns. Nicht die Diskussion darüber.

Zum eigenen inneren Kern zu kommen und dabei Frieden zu finden – ist das jetzt zielführend? 

‚Nach der Krise wird alles besser’? Wer weiß. Und wer weiß, wie lange sie noch anhalten wird. Wollen wir darauf warten? Ich als Einzelne/r kann schon jetzt – in der Krise – meinen Blick bewusst auf das Positive richten und überlegen:

Was fühle ich und was brauche ich. Jetzt.

Jetzt ist die Zeit umzudenken, ein anderes Verhalten zu entwickeln. Eines, dass sich besser anpasst an die ur-eigensten Bedürfnisse. Oder die Wahrscheinlichkeit erhöht, die Menschen zu finden, die das gut verstehen können. Vielleicht haben wir sie ja schon gefunden?

Und morgen: Was will ich an meinem Leben ändern? Wie wünsche ich mir meine Beziehungen? Wovon will ich Zukunft mehr? Und was muss ich dafür tun?

Darüber lohnt es sich nachzudenken: Wo haben wir uns verbittern lassen, waren streng, kleinherzig, unnachgiebig, egoistisch und sicher, dass der andere im Unrecht war? Und was davon drückt sich – vielleicht gerade heute –  verstärkt in Streit und Beziehungsstress aus.

Die eigenen und fremden Ressourcen zu schonen und zu sagen: „Ah, geht ja irgendwie: Eigentlich brauche ich ja wirklich nicht von München nach Berlin fliegen, / muss nicht unbedingt einmal im Leben eine Kreuzfahrt machen / muss nicht noch mal erklären, wer Schuld hatte beim letzten Streit / nicht nachtragen. Ich kann ja auch großzügig sein, vergeben, den anderen lassen, einatmen, ausatmen, bei mir sein.“

Vielleicht bleiben wir auch nach Corona bei den überzeugenden Argumenten dieser weisen Haltung. Es ist wichtig, sich zu fragen: Was ist mein Anteil an dem, was jetzt passiert: Mit uns. Mit den Menschen um uns herum. Mit der Welt.

Daran können wir arbeiten: An uns selbst.

Gedanken, die wir im Gespräch miteinander austauschen. Vielleicht nicht zwingend mit dem Lebenspartner. Vielleicht passt auch gerade nicht der sonst allerbeste Freund zum reden. Eventuell ist da ein anderer Mensch, den wir gar nicht so gut kennen, aber dem wir in diesem Moment der Krise vertrauen und der es auch tragen kann, wenn wir laut darüber nachdenken, wen oder was wir brauchen an unserer Seite, um gut durch die aktuelle Krise zu kommen. Nicht immer sind diejenigen an unserer Seite,  von denen wir vorher glaubten, sie seien auf jeden Fall da, wenn’s hart auf hart kommt.

Akzeptieren wir das. Seien wir großzügig. Wir sind im Krisen-Modus! Ich glaube, dass es sich lohnt. Der eigene Partner/Partnerin/best Buddy, gute alte Freundin kann und wird nie alles erfüllen können.

Wahrscheinlich wird uns die gerade alles beherrschende Pandemie noch viele Monate begleiten. Und wenn nicht: die nächste Krise kommt bestimmt. Dann brauchen wir wieder alle die und alles das, was uns stärkt.

Wir sollten gut für uns sorgen. Unsere Grenzen kennen. Und sie setzen.

Was ist, wenn ich es alleine nicht schaffe?  

Es ist keine Schande, um Hilfe zu bitten. Es ist eine Stärke, sich der eigenen Schwächen bewusst zu sein. Um Hilfe zu bitten verlangt vielen sehr viel Mut ab. Wir zeigen uns anderen Personen gegenüber verletzlich und schutzlos. Wir zeigen uns anders als sonst. Manche unserer liebsten Menschen überfordert das völlig. Rückzug, Aggression oder absolute Hilflosigkeit können die Reaktionen darauf sein. Überforderte Menschen scheuen sich davor, professionelle Hilfe zu suchen wie Coaching oder Therapie. Es wird immer noch häufig gleichgesetzt ist mit der Annahme: Der/die kriegt es nicht alleine hin. Ja, manchmal ist ganz genau das der Fall.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Auch Erfolgsmenschen haben damit ihr Thema.

Mein persönliches Beispiel: Ich hatte schon immer Flugangst. Als Frau Anfang dreißig wurde diese Angst jedes Jahr schlimmer. Als Werbeprofi, der ich damals war, war es schick von Hamburg nach Frankfurt zu fliegen. (Es waren andere Zeiten!). Als starke Frau, für die ich mich immer gehalten habe, riss ich mich zusammen. Die Folge: Die Angst breitete sich aus: ich spürte sie irgendwann auf der Reise in schnellen Zügen. Angst, die sich von hinten wie ein schwerer nasskalter Poncho auf mich drauflegte und mir die Luft raubte. Ein komisches Geräusch konnte Auslöser sein. Ein Geruch, den ich während der Fahrt nicht einordnen konnte. Ich drückte es mit viel Kraft weg. Danach fing es an, dass mich schnelle Autofahrten derartig stressten, dass mir ganz schlecht wurde. Ich wartete solange, bis es richtig schlimm wurde. Bis ich endlich aus der Not heraus etwas anderes machte: Ich bat um Hilfe.

Um Hilfe bitten!

Ich war es schlichtweg nicht gewohnt, zu einem anderen zu sagen: „Bitte, hilf mir. Ich brauche Dich jetzt.“ Mit Hilfe einer Therapie konnte ich mir damals neues Verhalten mühsam angewöhnen: Direkt beim Einstieg ins Flugzeug auf eine Stewardess zuzugehen, mich namentlich (!) vorzustellen und die Stewardess zu bitten, wenn möglich, sofort zu meinem Platz zu kommen, wenn es wackelt während des Fluges. Und dass „ich Angst habe. Flugangst. Verstehen Sie?“ Dieses konkrete Aussprechen, von mir, laut, hörbar, dieses neueVerhalten – gelernt vom Profi – das half. Und es hilft bis heute.

Lebenspartner sind nicht immer die beste Anlaufstelle für die eigene Angst. Und ich glaube, Liebe allein reicht nicht. Wichtig ist, zu wissen: Wir sind jetzt alle noch im Krisen-Modus. Selbst wenn wir uns in Woche 4, 5 oder 6 der Corona-Krise schon irgendwie zurechtruckeln und wieder „funktionieren„ – die tiefe Verunsicherung wird wahrscheinlich noch eine Weile bleiben. Die Bilder der Zustände in italienischen Krankenhäusern gehen so manchem nicht mehr aus dem Kopf. Kaum einer weiß, was morgen passiert. Das ist nicht trivial. Es ist existenziell. Es gibt keine schnelle Lösung in Form von Kalender-Sprüchen und „Alles wird bestimmt wieder schön“. Es gibt nur den besten Umgang mit dem, was jetzt ist. In diesem Moment. Gut durch den heutigen Tag kommen. Das ist ein Erfolg. Das ist schon gut genug. Auch das sollten wir annehmen und anerkennen.

Die Fähigkeit, sich abzugrenzen zu denen und dem, was zusätzlich Energie raubt, ist Gold wert. Erst wenn es uns gelingt, uns selbst gut zu führen, können wir kraftvoll für andere da sein. Das ist meiner Meinung nach das, was jetzt mehr denn je gebraucht wird. Was ebenfalls stärkt und nährt.

Das Gute im Schlechten sehen. Und darauf aufbauen.

Der Weg führt weg vom worst-case-szenario, hin zu dem, was – trotz allem – gut ist. Das Mantra-artige wiederholen der weltweiten Ungerechtigkeiten ist genau so wenig hilfreich wie die persönlichen Fehler des anderen und alte Verletzungen immer wieder zu verbalisieren.

Wir können alle etwas tun, jeden Tag. Wir können auch durch die selbstgemachte Schutzmaske lächeln. Wir können miteinander sprechen. Miteinander schweigen, uns sehen. Ja, zurzeit nur digital. Ja. Jeden Tag. Das hat Einfluss und Wirkung. Auf andere und auf uns.

Wer die eigene Wirksamkeit im Guten spürt, dessen negative Perspektive wird automatisch kleiner. Wir sind nicht machtlos unser Angst gegenüber ausgeliefert. Unser Vermögen, das Gute im Schlechten zu sehen, macht sie kleiner. Es auszusprechen, was jetzt gut geht, macht sie kleiner. Es gibt dem anderen Kraft und Vertrauen. Diese Kraft steckt an und kommt zurück. Nicht sofort und nicht mit voller Wucht. Sondern eher leise und in kleinen Schritten.

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