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„Ich liebe mich“

Das Gefühl von Selbstwert und Selbstliebe. Gedanken zum Thema (TEIL 2)

Liebevoll zugewandt sein und großzügig mit Fehlern umgehen: das können viele Menschen sehr gut. Vor allem bei anderen.

Unsere besten Freunde können sich Fehler erlauben. Wir nicht

Wir gehen meist sehr großzügig mit Fehlern und Unzulänglichkeiten um bei Menschen, die wir wirklich mögen: Beim guten Freund oder der guten Freundin fällt es oft viel leichter, Schwächen anzunehmen, Macken zu tolerieren. D.h., wir können Verhaltensweisen gut akzeptieren. Auch die, die nicht so toll sind. Wir lieben diese Menschen trotzdem. Oder gerade deshalb. Sie bleiben unsere guten Freund*innen über Jahre, Jahrzehnte, ein ganzes Leben.

Gleiches gilt für Komplimente und Zuspruch.

Warum ist es leichter, anderen Menschen Gutes zu sagen? Es ist leichter, andere reflexartig mit Worten und Zuneigung zu stärken, wenn diese an sich zweifeln und mit sich hadern.
Aber warum ist es leichter, anderen zu sagen: „Du bist toll. Sei stolz auf dich, auf Deine Haltung und Dein Tun. Schau, wer Du heute bist, wieviel Liebe Du schenkst. Und geschenkt bekommst. Du bist so, wie niemand sonst. Ich mag Dich. Ich liebe dich!“

Ich würde nie sagen: „Ich liebe mich“

„Ich liebe mich“. Vielleicht verschluckst Du Dich bei diesem Satz. Allein bei der Vorstellung, Du sagst zu Dir selbst: „Ich liebe mich

Vielleicht denkst Du: Das kann man doch nicht sagen! Das ja schon fast narzisstisch/ größenwahnsinnig / unsympathisch. Der innere Kritiker meldet sich, ruft laut: „Lass‘ das! Das sagt man nicht. Peinlich!“

Warum eigentlich nicht?

Selbstliebe heißt, seinen individuellen, eigenen Kern zu kennen, seine wahren Bedürfnisse überhaupt zu spüren. Gerade dann, wenn es stressig wird. Selbstliebe heißt, mit sich selbst in Verbindung zu treten, sich interessiert und zugewandt zu betrachten. Und dann zu suchen nach Antworten auf die Fragen: Was treibt mich im Inneren wirklich an? Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Welche Wünsche habe ich an mein Leben. Was ist heute wirklich wichtig für mich?

Erst wenn ich als Mensch weiß, wie ich im Inneren ticke, was mich antreibt, mich triggert, wenn ich meine wunden und nervigen Punkte an mir selbst annehmen kann – großzügig und liebevoll zugewandt –  dann kann ich auch diese Seiten an mir annehmen. Besser: Ich kann zugewandt mit mir selbst in Kontakt kommen. Ohne mich – vielleicht aus anerzogener Bescheidenheit – reflexartig klein zu kritisieren. Ich kann mich sehen. Mit allem, was ich bin: Der ganze Mensch. Und nicht nur die Hälfte von mir, die nach außen hin toll aussieht, und für die ich vom Außen gelobt werde.

Selbstliebe ist kein Kinderspiel

  • Warum fällt es vielen von uns so schwer, sich selbst zu akzeptieren, sich selbst zu lieben?
    Meiner Einschätzung nach sind erfolgreiche Menschen, die viel über sich und ‚Ich-in-der-Welt‘ nachdenken, ihre größten Selbst-Kritiker*innen. Manche meiner Coaching-Klient*innen sind so streng zu sich selbst, wie sie niemals zu anderen wären. D.h., sie haben eine absurd hohe Erwartungshaltung an sich. Oder sie erlauben sich einfach keine Fehler. Sie wollen sie sich nicht erlauben.
    Ich kenne das auch von mir selbst: Mache ich Fehler – im privaten oder beruflichen Leben – dann gehe ich hart mit mir ins Gericht.
  • Einen Text nicht einwand- und fehlerfrei veröffentlicht? (So wie diesen hier!?)
  • Einen Termin vergessen?
  • Ein Versprechen zu spät eingelöst?
  • Keine klaren Grenzen gesetzt?

Huh, dann holt meine innere Kritikerin schon Luft.
Wie wäre es, wenn wir mit uns selbst umgehen würden, wie mit unserer besten Freundin oder unserem besten Freund?

Glaub‘ nicht alles, was Du denkst

Der Grund für diese überkritische Sicht auf uns selbst sind u.a. starke innere Glaubenssätze. Sie schwächen die Selbstakzeptanz und das Selbstwertgefühl. Sie blocken diese Ressourcen einfach ab, so dass wir in stressigen Momenten keinen Zugriff darauf haben. Dabei haben wir diese betonharten Glaubenssätze irgendwann einmal von anderen übernommen: In der Kindheit, in der Jugend, von Vorbildern. In einer Zeit, in der wir ‚role models‘ brauchten und als wir noch nicht die Person waren, die wir heute sind. Glaubenssätze sind oft buchstäblich von gestern, z.B.:

  • Ich bin nicht gut genug
  • Ich bin noch nicht gut genug
  • Erst die Arbeit und dann das Vergnügen
  • Ich muss viel Geld verdienen, Karriere machen, um glücklich zu sein
  • Arbeit muss anstrengend sein, damit sie ‚was taugt
  • Um geliebt zu werden muss ich lustig / gutaussehend / stark sein
  • Ich muss mich um alle anderen kümmern, um gesehen zu werden
  • Ohne ‚guten‘ Job habe ich keinen Wert

Glaubenssätze stammen meist von gestern

Vielleicht kennst Du einen oder gar mehrere dieser Glaubenssätze? Vielleicht hast Du ganz andere. Sie sind bei jedem Menschen individuell, so wie der eigene innere Antrieb.

Ich erlebe das oft in meiner Arbeit mit denen, die persönlich mit sich weiterkommen wollen: Viele meiner Klienten definieren sich und ihren Wert über ihre Arbeit. Doch eine gute oder sehr gut bezahlte Position macht nicht unbedingt glücklicher. Sie stärkt auch nicht unbedingt die Selbstliebe. („Ja, aber ich bin noch nicht gut genug“.)

Stell Dir vor, Du erreichst dein Ziel, Du hast den Karrierestatus, den Du immer wolltest, das Haus abbezahlt, die Position, von der Du dachtest: ‚Wenn ich dort bin, dann habe ich es geschafft, wirklich geschafft. Ich bin erst dann glücklich und kann mich zurücklehnen. Erst dann…‘

Und dann merkst Du, dass Du Dich eben nicht glücklicher fühlst. Oder dass das Glücksgefühl nicht anhält. Dass es darum vielleicht gar nicht ging. Und dann stellst Du Dir die Frage: Und was jetzt?

Warum ketten wir unsere Persönlichkeit so an den Beruf?

Warum definieren wir unseren Wert als Mensch über das, was wir beruflich tun? Ob Unternehmer*in, Künstler*in, Angestellte*r: Sicher, wir verbringen den Großteil unseres Tages mit der Arbeit. Aber das definiert uns nicht als Mensch.

Wir sind nicht nur unser Job. Unsere Persönlichkeit umfasst so viel mehr.

Ich habe vor Kurzem einen spannenden Artikel von Lina Pospichal gelesen, in dem es genau darum ging. Er beginnt wie folgt: „Und was machst du?“ ist die erste Frage, die mir gestellt wird, wenn ich jemanden kennenlerne. Die Antwort: Mein Beruf.“

Vielleicht ist Dir das auch schon passiert:

Du präsentierst Dich Unbekannten gegenüber als erstes mit der Tätigkeit, die Du ausübst? Aber: Du bist nicht CMO, Lehrer*in, Head of Sales, Senior Associate Consultant oder Maler, sondern Du arbeitest als eine/r.
Der Autorin stimme ich voll zu, dass wir das oftmals unbewusst tun. Dieses Verhalten wird uns erst bewusst, wenn wir aus irgendeinem Grund keinen Job mehr haben oder uns mit dem aktuellen Job nicht präsentieren möchten, weil er vielleicht in unseren Augen oder den Augen der Gesellschaft nicht angesehen genug ist.

Ich bin schon geliebt“ 

Kennst Du die Geschichte von Samuel Koch?
In einem berührenden Video-Interview (Klick führt zu www. LinkedIn.de)
mit dem Regisseur Kristian Gründling spricht er über sich.

Samuel Koch war früher Turner, Sportler, Athlet und hat sich und seinen Wert nach eigenen Aussagen immer darüber definiert.

Mit seinem Unfall bei ‚Wetten, dass…?‘ vor vielen Jahren hat sich für ihn in Sekunden sein ganzes Leben verändert. Seine Selbstdefinition, den Wert, den er in sich gesehen hat – auf einen Schlag weg. Was tut der Mensch in so einer Situation?

Was macht man, wenn einem alles, was einen vermeintlich ausgemacht hat, wegbricht?

Samuel Koch hat sich selbst hinterfragt und es geschafft, zu erkennen: „Ich bin schon wer, ich bin schon geliebt und dadurch habe ich was, einen Wert und aus dem heraus kann ich etwas tun. – und nicht umgekehrt!“

Das hat mich sehr berührt.
Zu fühlen, zu wissen, dass Du bereits geliebt bist, kann alles verändern. Die dadurch entstehenden Prozesse sind tiefgehend. Die Erkenntnis „Ich bin schon geliebt!“ – das ist das, was trägt. Es trägt Dich durch harte Zeiten, durch Schicksalsschläge, durch Lebensphasen, die schwer sind. Grau. Oder dunkelgrau. Das kann mit 16 sein. Oder mit 60.

Menschen sind nicht auf der Welt, um perfekt und toll zu sein, sondern um zu lernen, zu wachsen, zu lieben.

Eine Erkenntnis, die viele gut brauchen können. Ein Gefühl, das erleichtert, großzügig macht und frei.

Selbstakzeptanz und Selbstliebe macht großzügig und frei

Wir haben alle einen Wert als Mensch, in unserer Einzigartigkeit. Wir sind nicht erst dann wertvoll, wenn uns das andere immer wieder bestätigen.

Ich hoffe, dass immer mehr Menschen dies erkennen und annehmen können, ohne dass dem ein schwerer Schicksalsschlag vorausgehen muss: Ein Zusammenbruch, ein Absturz, eine Trennung, ein Verlust, der plötzlich alles in Frage stellt und der zur Veränderung zwingt.

Doch wie anfangen? Versuche es mit dem Vorschlag von Lina Pospichal:

„Vielleicht beantwortest du ja das nächste ‚Was machst du?‘ mit etwas, das du liebst“. Und mit dem, was Dich neben Deinem Beruf ausmacht und Kraft gibt.

Das kann auch schiefgehen, denkst Du? Ja, und es könnte auch gutgehen und sich ein wirklich interessantes Gespräch entwickeln.

Vielleicht findest Du es dann ja nicht mehr absurd: Dich zu hören, wie Du leise sagst: „Ich liebe mich“

Sag‘ es einmal. Versuch es jetzt

Hast Du ein Thema mit Deinem Selbstwert oder der Selbstliebe? Wie kann Dir bewusst werden, dass Du ’schon geliebt bist‘?

Wenn Du keine Antwort auf diese Frage findest, dann lass uns zusammen danach suchen. Schreibe mir oder rufe mich an.

Quellen:

Video Samuel Koch
(Klick führt zu www. LinkedIn.de)

Artikel Lina Pospichal:

Beitragsbilder:

  1. Ariya J/shutterstock.com (Schild)
  2. Eric Surprenant/shutterstock.com (Biber)
  3. Kunal Mehta/shutterstock.com (Schreibmaschine)